Mythen im Miniformat – Die Daktyliothek der Erlanger Antikensammlung bei dem Kulturhackathon Coding Da Vinci
Durchführung: Prof. Dr. Corinna Reinhardt, Dr. Elisabeth Günther, Dominic Schuh, Fotografien von Georg Pöhlein.
Die „Daktyliothek“ des Münchner Professors und Privatgelehrten Paul Arndt (1865-1937) ist eine Sammlung von modernen Abdrücken antiker Gemmen, d.h. geschnittener Edelsteine, die in Siegelringe eingesetzt waren. Insgesamt wurden seit dem 19. Jahrhundert rund 39.000 Abdrücke solcher Siegelsteine in Gips, Schwefel und Siegelwachs zusammengetragen. Die Entstehungszeit der antiken Originale reicht etwa vom 2. Jahrtausend vor bis zum 3. Jahrhundert nach Christus. Mit ihren detaillierten Miniaturbildern geben die Abdrücke einen einzigartigen Einblick in die antike Welt und dem Umgang mit ihr im Geburtsjahrhundert der deutschen Altertumswissenschaften.
Die Erlanger Daktyliothek bei Coding Da Vinci
Aus der Erlanger Daktyliothek wurden Fotos und Metadaten von rund 60 Gemmen für die Teilnahme am „Kultur-Hackathon“ Coding Da Vinci Süd 2019 ausgewählt. Damit trat das Erlanger Institut für Klassische Archäologie bzw. die Antikensammlung der FAU Erlangen als eine von insgesamt 31 datengebenden Kulturinstitutionen auf, welche ihre Daten – in der Regel Fotografien oder Scans von Archivalien und Exponaten – der Öffentlichkeit zur freien und kreativen Nutzung unter einer CC-BY-Lizenz bereitstellten. Programmiererinnen und Programmierer, Kulturinteressierte, Technikbegeisterte und andere kreative Köpfe entwickelten aus diesen Datensätzen innovative Ideen, Apps, Websites, VR/AR-Umsetzungen, interaktive Installationen, Datenvisualisierungen und vieles mehr, die schließlich in der Siegerehrung im KunstKulturQuartier Nürnberg am 18.05.2019 ausgezeichnet wurden. Leider basierten die siegreichen Apps nicht auf dem Erlanger Datensatz. Dennoch konnte die Erlanger Daktyliothek einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden – und bleibt dies auch weiterhin über die Website Coding Da Vinci Süd (https://codingdavinci.de/daten/). Außerdem können nun ausgewählte Gemmenabgüsse auch hier über die Erlanger Institutshomepage eingesehen werden.
Große Mythen auf kleinen Steinen
Die Daktyliothek umfasst ein breites Spektrum griechischer und römischer Gemmen, welche mythische Szenen und Figuren zeigen. Neben bekannten Mythenstoffen, wie etwa der grausamen Bestrafung des Prometheus (Bild 1) oder der Flucht des Odysseus aus der Höhle des menschenfressenden Zyklopen Polyphem (Bild 2), bietet die Sammlung auch Ungewöhnliches. So kombinieren zwei Gemmen auf originelle Weise die Göttin Athena und ihr charakteristisches Tier, die Eule: Einmal ziehen kleine Eulen den Streitwagen der Göttin (Bild 3), einmal werden Kopf und Waffen der Athena mit einem Eulenkörper kombiniert (Bild 4), was an Götterparodien in der griechischen Vasenmalerei erinnert.
Durch die Funktion als Siegelring entstanden teilweise sehr individuelle Motive, welche den Besitzer oder seine Familie repräsentieren sollten. So ist auf einem römischen Siegelring eine Krabbe dargestellt, die einen Bogen spannt. Daneben befinden sich die Buchstaben „T“ und „R“, die wohl auf den Namen des Besitzers anspielen (Bild 5). Das rätselhafte Bild dürfte die Sternzeichen Krebs und Schütze vereinen und sollte seinem Besitzer Glück bringen.
Die Gemmenabdrücke geben darüber hinaus auch einen Einblick in die Antikenrezeption der Neuzeit: Mehrere Gemmen wurden von der italienisch-deutschen Gemmenschneiderfamilie Pichler gefertigt und imitieren antike Vorbilder. Die qualitätvollen Nachahmungen offenbaren ihre moderne Herkunft jedoch mitunter durch Inschriften, natürlich in griechischen Buchstaben (Bild 6). Antike wie Moderne so eng verwoben zu sehen zeigt, wie die Antike bis heute weiterlebt und uns immer neue Geschichten zu erzählen vermag.