Nachahmungen griechischer Vasen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: der Tonwarenfabrikant August Sältzer in Eisenach als Beispiel
Als ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche, mit antiken Gefäßen reich ausgestattete Gräber in Unteritalien und Etrurien aufgedeckt wurden, erregte dies erhebliches Aufsehen in Europa. Schnell wurden erste Sammlungen zusammengetragen und große Stichwerke – wie die ab 1767 erschienene Publikation der Sammlung des englischen Gesandten am neapolitanischen Königshof Sir William Hamilton – verbreiteten die Kenntnis der Vasen und ihrer reichen Bilderwelt. Die dadurch steigende Nachfrage nach antiker Keramik ließ sich nicht einmal mehr durch die zahlreichen Raubgrabungen, die alle archäologischen Kontextinformationen unwiederbringlich zerstörten, befriedigen. So gewannen auch moderne Reproduktionen und freiere Nachahmungen verschiedener Firmen wie die neapolitanische Manufaktur Giustiniani an Beliebtheit und fanden Eingang in Sammlungen und private Interieurs. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verebbte das Interesse für antikisierende Keramik nicht, im Gegenteil: neue Firmen – wie etwa die dänische Firma Hjorth in Rønne – entstanden und fertigten noch bis ins 20. Jahrhundert hinein für eine breite interessierte Kundschaft.
Bislang fast unbekannt ist der archäologischen Rezeptionsforschung die Produktionslinie der Firma August Sältzer, die spätestens ab 1864 in Eisenach mit der Fertigung von Gefäßen nach antiken Formen und mit antiken oder antikisierenden Bildern begann. Weitaus bekannter ist diese Firma heutzutage für ihre Bierhumpen, etwa Nachahmungen der sogenannten Creußener Krüge, während die antikisierenden Vasen in Vergessenheit geraten sind.
Als Vorlagen für die Vasen wurden Stichwerke wie die 190 Tafeln mit Umrisszeichnungen umfassende Galerie Mythologique. Recueil de Monuments pour servir a l’étude de la mythologie, de l’histoire de l’art, de l’antiquité figurée. Et du langage allégorique des anciens von Aubin-Louis Millin (Paris 1811) oder die zahlreichen Publikationen des Klassischen Archäologen Eduard Gerhard verwendet, die die Vasenbilder in reichen, kolorierten Stichen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatten. Beiden Publikationen, die exemplarisch für eine ganze Reihe anderer im 19. Jahrhundert stehen, ist gemeinsam, dass sie die Bilder von ihrem dreidimensionalen Bildträger – der Vase – lösen und quasi als Abrollung auf die Tafel drucken. Dadurch waren sie als Vorlagen für das neu entstehende Kunstgewerbe und seine unterschiedlichen Belange verwendbar – ob auf Möbeln, als Wanddekoration oder eben auf neuen Gefäßen. So werden in der Firma August Sältzer sowohl die Bilder als auch die Ornamente, Vasenformen und der Malstil von der Antike übernommen, jedoch stets in neuen Kombinationen, unabhängig von der originalen Vase. Da es sich somit nicht um Kopien handelt, steht das originale Objekt anders als in der Archäologischen Wissenschaft nicht im Vordergrund des Interesses. Allein die Vorbildhaftigkeit der antiken Formen und Bilder für das Kunstgewerbe war von Bedeutung. Kunstfertigkeit besaß derjenige, dem es gelang, mit Geschmack diese Elemente zu kombinieren.
Und August Sältzer scheint diesbezüglich überaus erfolgreich gewesen zu sein, da man seine Arbeiten mehrfach auf den Kunstgewerbeausstellungen in Deutschland und Österreich prämierte und seine Vasen auch Eingang in den Bestand der neu entstandenen Kunstgewerbemuseen (etwa in München und Wien) fanden. Und nicht nur dies: Die Firma erwarb sich wegen ihrer qualitätsvollen Nachahmungen auch den Titel des Hoflieferanten am preußischen Königshof.
Die Untersuchung der Eisenacher Produktion kann daher einen beispielhaften Einblick in den zeitgenössischen Geschmack – vor allem des wohlhabenden Bürgertums – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geben. Die Antike gesellte sich in deren heimischen Interieurs immer häufiger neben Produktionen anderer Stilarten – ohne, dass dies störte, wie die „Zeitschrift für Kunst und Gewerbe“ von 1873 zur Verwendung derartiger Vasen bemerkte: „Man könnte vielleicht die Frage aufwerfen: Was sollen diese Nachbildungen altgriechischer Vasen und Schüsseln in unsern modern eingerichteten Zimmern? Werden sie, müssen sie dort nicht den Eindruck der Unruhe, des Unpassenden machen, das mühsam hergestellte Ensemble derselben stören? Die Frage ist unbedingt zu verneinen, sofern der Besitzer überhaupt ein Verständniss für die Eigenart der einzelnen Gegenstände mitbringt, die er in seinen Gemächern zusammenstellt, sobald er mit Absicht und künstlerischem Geschmacke wählt, der ihn in Bezug auf Form und Farbe das Richtige treffen lässt. Ist das der Fall, dann stören diese Nachbildungen neben Majoliken so wenig, als Abbildungen des Parthenon-Frieses neben einer solchen der Hermannsschlacht auf dem östlichen Giebel der Walhalla und eine Copie der Mediceischen Venus neben einer Apostelfigur von Peter Vischer.“ (Kunst und Gewerbe, Wochenschrift zur Förderung Deutscher Kunst-Industrie 7. Jg. Nr. 27, 1873, 214)
Verschiedene Exemplare der Produktion und ein Verkaufskatalog der Firma ermöglichen einen nahsichtigen Einblick in die Variationsbreite der Produktion. Anhand dieser Zeugnisse werden Fragen nach den Geschmacksvorstellungen der Zeit in Bezug auf die griechische Antike, den Umgang mit Vorlagewerken und dem Stellenwert der Originale untersucht, ebenso wie ein Einblick in die spezifische Rezeption der Antike und die damit zusammenhängende kunstgewerbliche Produktion im Historismus verfolgt wird.
Projektleitung: Prof. Dr. Corinna Reinhardt
Durchführung: Prof. Dr. Corinna Reinhardt, Katharina Hefele, BA, Jannis Rütten, BA